Dieser Tage jährt es sich zum zehnten Mal, dass wir auf unseren Hof gezogen sind.
Die größte Herausforderung war und bleibt das heimisch werden. Uns hier wohl zu fühlen, obwohl die Weltanschauung und die Lebensart, die wir mitgebracht haben, im südoststeirischen Hügelland nicht immer auf fruchtbaren Boden fällt.
Kürzlich war ich Lammfleisch liefern bei einer Familie in Wien, die von Anfang an Kundschaft war, und bin auf einen Kaffee geblieben. Wir haben über den Begriff geistige Heimat geredet und sie wollten wissen, ob wir uns manchmal wie Aliens vorgekommen sind.
Wir sind ohne jede Ahnung in die Landwirtschaft eingestiegen. Frisch aus Wien zugezogen, und Studierte noch dazu. Wir haben auf biologische Wirtschaftsweise umgestellt und auch aufgehört, Totholz wegzuschaffen oder die Böschung regelmäßig zu mähen. In den ersten Jahren habe ich das Geld heimgebracht und der Kogler hat Haushalt und Hof geschupft. Den ans Kreuz genagelten Jesus haben wir ein paar Tage nach unserem Einzug von der Hausmauer entfernt, ohne Bekenntnis sind wir natürlich trotzdem nicht. Wir glauben an die Gleichheit und Freiheit aller Menschen und daran, dass wir eine Verantwortung gegenüber allem Lebendigen haben und Teil davon sind. Statt eines Zweitautos haben wir uns ein Lasten-E-Rad angeschafft, wir fahren damit einkaufen und kutschieren die Kinder. Wir verwenden eine Sprache, die Frauen und Männer einschließt, in einem Doppelnamen tragen wir beide den eigenen und den Namen des anderen. Wir kritisieren Verhaberung, Intransparenz und Obrigkeitshörigkeit. Wir haben uns Geschichten über früher, Bräuche von heute und viele Ratschläge von den Alteingesessenen angehört. Einiges davon konnten wir brauchen. Wir haben gelernt, Menschen für andere Qualitäten zu schätzen als dafür, dass sie gleich denken und ticken wie wir. Wir haben angefangen und rechtzeitig wieder aufgehört, uns gegenseitig fertig zu machen, wenn wir überfordert waren. Wir beherbergen mehrmals im Jahr Leute aus aller Welt, die gegen Kost und Logis bei uns mitarbeiten. Wir holen uns Hilfe fürs Saubermachen im Haus. Als Eltern waren wir von Anfang an beide gleichermaßen für den Nachwuchs zuständig: für die körperlichen Bedürfnisse, für die emotionale und intellektuelle Fürsorge, für die administrativen Notwendigkeiten. Wir haben unsere Kinder weit vor dem landesüblichen Alter von drei Jahren in Betreuung gegeben und das Schulkind auch während der Lockdowns in den Unterricht vor Ort geschickt – obwohl wir „eh daheim“ waren. Wir nehmen uns jedes Jahr eine Auszeit vom Hof und organisieren dafür Hofsitter:innen. Wir haben vieles nicht so gemacht, wie es immer schon gemacht wurde oder wie andere es erwartet hätten.
Es gab und gibt also Momente genug, um sich fremd zu fühlen. Ob wir uns trotzdem auch angekommen fühlen, wollten sie wissen.
In unserer Rolle als Landwirtin und Landwirt sind wir heimisch geworden: Durch das tägliche Tun, durch nachbarschaftliche Hilfe und dank mancher Weiterbildung haben wir uns den Herausforderungen mehr und mehr gewachsen gefühlt. Was uns in der ersten Zeit in Panik versetzt hat ist heute Routine. Dunkle Wolken beim Heu machen. Ein entlaufenes Schaf. Ein kaputtes Gerät. Kriegen wir hin. Die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln macht besonders für mich viele Mühen wett. Dass aus der Milch, die ich am Morgen gemolken habe am Abend Joghurt geworden ist, das macht mich nicht nur körperlich satt.
Und die geistige Heimat? Es braucht eine Handvoll Menschen, mit denen man Werthaltungen und Ansichten teilt, um sich weltanschaulich wo heimisch zu fühlen. Der Kogler nennt es „Menschen, bei denen man die Rüstung ablegen kann“. Die einen nicht – oder nur ein bisschen – schief anschauen, wenn man gendert. Denen man nicht – oder nicht lange – erklären muss, warum man biologisch wirtschaftet und was das mit dem Totholz zu tun hat. Die es vielleicht selber nicht so leben, aber anerkennen können, dass halbe-halbe als Eltern und die frühe Kinderbetreuung für uns der richtige Weg sind. Manche können sogar nachvollziehen, warum es uns irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit im örtlichen öffentlichen Bildungswesen die katholische Kirche und ihre Riten eine Rolle spielen. Es gibt sie, diese Menschen, und der Kogler ist ein Perlentaucher. Oder einfach nur sehr offen und gesprächig. Hoffentlich lernt er uns noch ein paar mehr kennen.
Wie oben schon geschrieben, wir haben vieles nicht so gemacht, wie es sich angeblich gehört. Mit den Jahren sind wir so selbstbewusst geworden, zu wissen, dass das eine Bereicherung für alle ist. Wir sind angekommen im Anders sein.
1 Comment
Hallo Ihr Lieben!
was für ein super Beitrag : zehn Jahre ZUAGRAST
ihr habt wirklich viel geschafft, darauf könnt ihr stolz sein!!!!
weiterhin viele gute Ideen,viel Kraft ,viel Freude u. gute Energien!
besonders herzliche grüße
Hans &Renate aus Neulengbach
(wir können es teilweise nachvollziehen das war nicht immer einfach)