Wir können nicht ständig Blumenfotos posten, sage ich vor ein paar Tagen zum Kogler, als er mal wieder eine der wunderschönen Dahlien vor dem Haus auf unsere Social-Media-Accounts hochladen will. Weil erstens: wir sind ein Bauernhof mit Aufklärungsanspruch, da müssen der Facebook und Instagram-Auftritt mehr bieten als schöne Bilder. Und zweitens: In meiner politischen Sozialisation habe ich gelernt, dass nichts so sehr für konservative Häuslichkeit steht wie Blumen, besonders solche vor Fenstern oder in Vasen.
Jetzt ist es aber so, dass ich gerade ständig Blumen abzwicke und als Zierde im Haus arrangiere, und das dann auch wirklich hübsch aussieht und mich selber zum Posten verführt – siehe Titelbild. Also brauche ich eine Begründung, warum das eh in Ordnung ist. Dafür greife ich wieder einmal auf die über hundert Jahre alte und dennoch hoch aktuelle Forderung Brot und Rosen [1]von amerikanischen Gewerkschafterinnen zurück. Es ist nämlich so, dass wir seit einer guten Woche nur noch darauf warten, dass die zweite Jungkoglerin zur Welt kommt. Davor haben wir noch ziemlich viel rund um den Hof erledigt, Holz spalten, Hähne schlachten, die erste Mahd einbringen, am neuen Hühnerhaus weiterbauen, die Mirabellenernte zu Kompott verarbeiten, den Gemeinschaftsgarten pflegen… alles mit Hilfe von helfenden Workaway-Händen. Seit dem 10. Juli, also etwa 10 Tage vor dem errechneten Geburtstermin, geben sich Familienmitglieder die Klinke in die Hand, um uns die Routinetätigkeiten abzunehmen und Haus, Hof und die schon vorhandene Jungkoglerin zu betreuen, wenn es dann wirklich losgeht. Apropos: die wird fünf, einen Tag vor dem Termin, ihr Kommentar dazu: Dann hab ich halt ein Geschrei an meinem Geburtstag. Und dank Patentante und Großeltern eine richtig geile Kinderparty am Hof, mit Topfklopfen, Wasserbomben werfen, Lagerfeuer und Würstel grillen. Und Einhorntorte, das eine oder andere Zugeständnis an liebliche Trends und Moden unter Kindern, die man eigentlich eher (konsum)kritisch sieht, muss man machen.
Doch zurück zu den Blumen bzw. der Tatsache, dass ich gerade so viel Zeit und Unterstützung habe, dass ich lauter Dinge tun kann, die sonst einfach nie wichtig genug sind. Die Brotlade sauber machen etwa, Regenjacken imprägnieren, jahrelang gewachsene Stöße von Magazinen aussortieren, Kinderzeichnungen aufhängen, Einhorntorten selber backen und verzieren und eben das Zuhause mit Blumen verschönern. Keine Frage, dieser Anfall von Häuslichkeit muss mit den Hochschwangerschaftshormonen zu tun haben, aber dass ich die Möglichkeit habe, ihn auszuleben, hat mit Brot und Rosen zu tun. Mit Mutterschutz und Wochengeld, um genau zu sein. Das Prinzip einfach erklärt: die werdende Mutter wird für einige Wochen vor und nach der Geburt von der Notwendigkeit freigestellt, für ihren Lebensunterhalt zu schuften. Den Verdienstentgang übernimmt eine solidarische Allgemeinheit, im österreichischen Fall die jeweilige Sozialversicherung. Seit den 80er Jahren (1980er!) auch für Bäurinnen, in Form von Betriebshilfe oder als Geldleistung, damit man die Hilfe selber organisieren oder eine Zeit lang auf die Herstellung marktfähiger Produkte verzichten kann. Oder beides, Hauptsache es ermöglicht der Bäurin – und dem Bauern! – einfache, nicht notwendige, das Leben und die Umgebung verschönernde Dinge zu tun. Es lebe das Reich der Freiheit! Und alle, die uns so großartig unterstützen in diesen Tagen. Wir werden ein Fest des Lebens, der Liebe und der Solidarität feiern, der neuen Erdenbürgerin und euch zu Ehren, wir freuen uns darauf.
[1] Aus einer Rede der New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneiderman, 1911: “The woman worker needs bread, but she needs roses too”. Gefordert wird damit nicht nur ein gerechter Lohn (Brot), sondern auch ein Leben, das diesen Namen verdient, mit Freizeit, Tanzen, Schlemmen, Lagerfeuern, Gedichten, Rotwein usw. (Rosen). Oder um es in den Worten der ÖBV-Frauen auszudrücken: Wir wollen das gute Leben für alle!