Wenn das Ausschreibungsthema für einen Literaturwettbewerb gerade passt wie die Melkmaschine ans Euter, dann heißt es schreiben und einreichen.
Letzten August, wir steckten gerade mitten in den Bauarbeiten für den Zubau mit der neuen Wohnküche, waren unsere Gschroppis bei den Großeltern in Vorarlberg. So hatten der Kogler und ich ein paar Tage kinderfrei, und weil der Einreichschluss für den Feldbacher Literaturwettbewerb genau in diese Zeit fiel und das Thema uns so angesprochen hat, nutzten wir beide die Gelegenheit, um einen Text einzureichen. Ich darf an dieser Stelle dem Kogler gratulieren, sein Beitrag „Ei der Daus“ wurde im Sammelband zum Wettbewerb publiziert! Meiner leider nicht, deshalb wird er jetzt hier veröffentlicht. Danke an alle, die mich ermuntert haben, das zu tun. Viel Spaß beim Lesen, Feedback wie immer willkommen.
Die Dämonen der Wohnküche
Ein menschenhohes Loch in der Wand verbindet den Raum, der einmal unsere Küche war, mit dem angeschlossenen Rohbau. Ich stehe darin und versuche mir vorzustellen, wie alles sein wird. Dort im Anbau die Eckbank, im alten Raum die Küchenzeile. Es wird eine geräumige Wohnküche mit Platz für die bäuerliche Selbstversorgung und all die Menschen, die uns besuchen kommen. Es wird die Küche, die unserem Leben hier entspricht – aber wollen wir dieses Leben hier?
Es ist dieselbe Frage, dich ich mir seit zehn Jahren immer wieder stelle. Wollen wir hier leben, will ich hier leben? Als progressive, weltoffene Frau, hier, in einer Gemeinde in der Südoststeiermark?
Da am Herd werde ich stehen und das Lammgulasch abschmecken, während ich mit meiner Schwester telefonieren und ihr erzählen werde, was die Schulbusfahrerin diesmal über biologische Wirtschaftsweise gesagt hat.
Wenn sie meine Tochter zu Hause absetzt, dreht sie unten vor dem Scheunentor um. Dort hängt das Schild, das uns als Biobetrieb ausweist. Dazu ist ihr unlängst eingefallen, dass das alles ein Schmäh ist und nie drinnen ist was drauf steht. Am nächsten Tag habe ich ihr ein Paar unserer Schafwürste überreicht, unverpackt, mit den Worten: „da steht nichts drauf, aber drin ist genau das, was du hier siehst: Schafe in Freilandhaltung, artgerecht gefüttert.“ Tags darauf ist meine Tochter nach Hause gekommen und hat verkündet: „alle im Bus finden Bio blöd.“ Ich habe der Lehrerin geschrieben und sie gefragt, ob sie im kommenden Schuljahr einen Ausflug mit der Klasse machen möchte, zum Thema biologische Landwirtschaft, ich nehme mir die Zeit.
Am Abend, wenn die Kinder schlafen und mein Mann von einer Gemeinderatssitzung nach Hause kommt, werden wir drüben am großen Holztisch sitzen und er wird mir erzählen, welche Anträge diesmal von der konservativen Mehrheit abgelehnt worden sind.
Tampons und Monatsbinden in der Schule und auf den anderen öffentlichen Toiletten zur freien Entnahme! Das geht nicht, denn die Buben und jungen Männer würden sich die Dinger nur in die Nase stecken. Pech gehabt liebe Mädels, eure Altersgenossen sind einfach zu unreif. Aber seien wir ehrlich: ihr könnt gar nicht früh genug lernen, immer alles, was ihr oder sonst jemand für das leibliche Wohl brauchen könnte, dabei zu haben.
Wohnungen im Gemeindeeigentum sanieren statt sie zu verkaufen, um sie im Bedarfsfall günstig vermieten zu können! Was denn dieser Bedarfsfall sein soll? Frauen die von häuslicher Gewalt betroffen sind und rasch und unkompliziert eine Unterkunft brauchen; Menschen die ihr Land verlassen mussten weil ihnen das Dach über dem Kopf weg bombardiert wurde; das, was einem im besten Fall nie selber passiert und im zweitbesten Fall kann man sich immerhin auf eine solidarische Gemeinschaft verlassen. Lieber verkaufen.
Mehr Krippenplätze für eine ausreichende Betreuung der unter Dreijährigen!
Das geht nicht, da würden die Mütter in der Zeit ja nur im Kaffeehaus sitzen. Pech gehabt liebe Mamis, die Männer wissen einfach besser, was ihr und eure Kinder brauchen.
Am Kühlschrank werden Momentaufnahmen aus unserem Leben hängen. Eine Freundin die uns bei der Heuarbeit geholfen hat, einer der Brüder beim Balken schleppen für das neue Hühnerhaus, die Menschen aus aller Welt, die immer wieder gegen Kost und Logis bei uns mitarbeiten, eine meiner Gemeinschaftsgärtnerinnen zwischen Kürbissen und Unkraut. Und das Foto, auf dem mein Mann im Gartenstuhl liegt, am Bauch das schlafende Neugeborene, in der Hand ein Buch. Ich werde in der friedlichen Stimmung, die das Bild einfängt, schwelgen, und dennoch daran denken müssen, welchen Blick so manche und mancher hier auf solche Vater-Kind-Szenen wirft.
Rund um die Geburt hatte ein Sturm im Wald einige Bäume umgeknickt, die es galt so rasch wie möglich aufzuarbeiten. Wir haben einen Bekannten damit beauftragt, sich gegen Bezahlung um das Schadholz zu kümmern, um beide so viel Zeit wie möglich mit der Kleinen verbringen zu können. Als ich einige Jahre später gegenüber einer Nachbarin davon geschwärmt habe, wie gut die Beziehung meines Mannes zu seinen beiden Töchtern ist und was dahintersteckt, hat sie mir ungefragt ihre Version von damals erzählt: „Ja genau, der arme Hans hat geschwitzt wie ein Trottel allein bei der Holzarbeit und der Bauer war einfach stundenlang bei dir und der Kleinen.“ Ein Vater gehört nicht zu Frau und Neugeborenem ins Haus, dort hat der nichts verloren. Und schon gar nicht darf man nur wegen der Geburt eines Kindes seine eigentliche Aufgabe vernachlässigen.
Auf der Arbeitsfläche der Anrichte werde ich das gerade geerntete Gemüse schneiden, um es später für den Winter einzukochen. Auf der anderen Seite wird meine Tochter sitzen und ihre Hausübung machen. Wenn sie fertig ist wird sie mir sagen, dass sie alles erledigt hat bis auf die Religionsaufgabe. Das wird kein Problem sein.
Sie besucht den Religionsunterricht, nicht zuletzt, weil alle anderen Kinder ihrer Klasse das auch tun, wird aber nicht beurteilt. Ich glaube, die Stunden gefallen ihr, aber der Eifer reicht nicht so weit, am Nachmittag zu Hause noch ein weiteres Heft aufzuschlagen. Es erinnert mich an den Umgang so mancher Eltern mit dem Ritual der Taufe und der Erstkommunion: man macht das, nicht zuletzt, weil alle anderen das auch so handhaben, aber für eine konsequente religiöse Praxis reicht der Ehrgeiz nicht.
Unsere Tochter weiß, warum wir aus der Kirche ausgetreten sind und was wir meinen, wenn wir sagen, dass wir atheistisch und humanistisch sind. Sie weiß, warum sie nicht getauft ist und natürlich war es trotzdem nicht leicht für sie, die Einzige zu sein, die nicht an der Erstkommunion teilnimmt. Sie hat mich gefragt, ob sie bei den anderen zusehen darf, und ich habe kurz überlegt, ob wir das machen. Ich habe mich dagegen entschieden – um ihretwillen und meinetwillen. Für sie hätte sich das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, nur noch verstärkt, und ich hatte keine Lust, mir anzuhören, was sehr laut nicht gesagt worden wäre. Wir haben stattdessen einen Familienausflug zu einem Gestüt gemacht. Wenn in ein paar Jahren die Firmung ansteht, fahren wir ins Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch nach Wien. Und dann in den Prater.
In der neuen Küche wird es so viel Stauraum geben, dass es für uns alle leicht sein wird, sie aufzuräumen. Es wird der eine Raum sein, der immer picobello aussehen wird.
Möchte ich, dass alles seinen Platz hat, damit ich mich selbst nicht mehr fragen muss, ob ich hierher gehöre? Manchmal wundert es mich schon, dass ausgerechnet ich mich für ein Leben entschieden habe, in dem die Reproduktionstätigkeiten noch mehr sind als in einem üblichen Haushalt. In dem nicht nur die Kinder, sondern auch die Tiere und Pflanzen ständig etwas brauchen. In dem man den Luxus eigener Nahrungsmittel hat, aber auch viel länger in der Küche steht, als würde man sie einfach kaufen.
Ich stelle mir dann vor, wie es wäre, doch in Wien zu leben. Oder keine Familie zu haben und mein Leben reisend und schreibend zu verbringen. Eine Zeit lang in Venedig leben, per Autostopp durch die USA reisen, mich den Zapatistas in Chiapas anschließen. Mich hingeben wem und was ich will, weil ich niemandem etwas schuldig bin.
Ich beneide manchmal Freundinnen, die keine Kinder haben. Wie ungebunden sie sind, wie straff ihre Körper, wieviel Energie sie in die berufliche Selbstverwirklichung stecken können.
Danach höre ich mir eine Podcast-Folge über Errungenschaften und Persönlichkeiten der Frauenbewegung an und rufe mir in Erinnerung: Das Leben als Mutter und Kleinbäuerin kann wirklich anstrengend sein – aber es ist ein selbst gewähltes Leben. Ich glaube, dass diese Möglichkeit zur Selbstbestimmung ziemlich einzigartig ist – sie beruht auf historischen Kämpfen um die Gleichberechtigung aller Menschen, auf dem glücklichen Zufall der Geburt in einem europäischen Sozialstaat und auf der Tatsache, dass es in meiner Familie den Generationen vor mir möglich war, sich einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten.
Zur Selbstbestimmung gehören die Zweifel, und die Dämonen meiner ungelebten Leben werden es sich auch in dieser neuen Küche gemütlich machen. Je dichter mein Alltag sein wird, umso deutlicher werde ich sie vor mir sehen. Ich werde sie bitten näher zu kommen und ein Glas Wein mit mir zu trinken. Oder sie mitnehmen ins Kaffeehaus, um eine der anderen Rabenmütter zu treffen, deren Kleinkinder in Betreuung sind. Nachdem ich mich dann auch noch mit einer Freundin zu einer Ausstellung in Graz verabredet oder gar einen Urlaub ganz für mich alleine gebucht haben werde, werde ich sie zurück an ihren Platz schicken. Dann werde ich mir die Schürze wieder umbinden, einen Podcast suchen und die nächste Runde Tomatensoße einkochen. Dabei werde ich hoffen, inständig hoffen, dass das reicht: Sich hie und da mehr Freiheit zu nehmen als für eine Mutter, Bäuerin und Hausfrau ortsüblich.
1 Comments
Liebe Isabella! ein sehr interessanter Beitrag. manches erinnert mich an die Zeit vor mehr als 50 Jahren !
als ich die „WIENERIN“ der Liebe wegen, nach Sankt Stefan kam,
und muss feststellen, das dieses konservative Denken leider noch allgegenwärtig ist.
der Journalist Klaus Edlinger, Sohn der Lehrerin von Hans,
hat im Orf Anfang 1970 einen Beitrag über Sankt Stefan gemacht
mit dem bezeichneten Titel :LAND IM SCHATTEN ,damals ein Aufreger im Ort,
wäre heute grossteils noch aktuell!!!!
es ist traurig,das vieles /Religion, veraltete Ansichten, gegen Neues ,usw.
von so vielen Menschen nicht akzeptiert/verstanden wird.
ich wünsche dir für die Zukunft das du auf dem Koglerhof viele glückliche,und zufriedene momente erleben kannst
besonders liebe grüße renate fürpass