Wir, der Bauer und ich, sind Mitglied der ÖBV, der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innenvereinigung. Als Bäurin und Bauer unseres Schlages halten wir die ÖBV für die geeignete Interessensvertretung. Die ÖBV ist Teil bzw. österreichischer Ableger der weltweiten Bewegung La via campesina (der bäuerliche Weg) und setzt sich unter anderem für kleinstrukturierte, ökologisch nachhaltige Landwirtschaft, Rechte von Kleinbäurinnen und -bauern sowie für Ernährungssouveränität ein. Wer sich ein Bild machen möchte, hier die Homepage.
Die ÖBV hat auch einen Frauenarbeitskreis (dem gerade, wie so vielen anderen Frauenorganisationen, die Fördergelder um die Hälfte gekürzt wurden – wer braucht schon emanzipatorische Bildungsarbeit für Frauen auf dem Land…?)
Dieser Frauenarbeitskreis, abgekürzt FAK, hat einen Mailverteiler, in dem auch ich eingeschrieben bin, und in den letzten zwei Wochen hatten wir eine spannende Diskussion. Es ging um die Frage, ob wir als FAK unserer Ministerin, Frau Köstinger, zur Geburt ihres Sohnes bzw. den Eltern zur Entscheidung, die Familienarbeit aufzuteilen, gratulieren sollen. Aus vielen spannenden Ansichten dazu ist die Idee einer gemeinsamen kritischen Gratulation entstanden, die jedoch derzeit, mangels Zustimmung aller Frauen, noch nicht an die Ministerin hinausgegangen ist. Damit aber dieses Thema nicht ganz untergeht, hier die Mail aus dem FAK-Verteiler, in der ich ein Beispiel für eine kritische Gratulation verfasst habe:
Liebe alle!
Ja, der Impuls ist da, einfach nur von Herzen zu gratulieren und sich mit den Eltern über die Geburt eines Kindes zu freuen. Es wäre mir manchmal ehrlich nichts lieber, als würde die Welt genau so einfach sein. Als individuelle, persönliche Entscheidung sei das auch jeder unbenommen. Insbesondere als Mitglieder im ÖBV-Frauenarbeitskreises fände ich es aber wichtig, dass wir nicht nur diesem Impuls nachgeben, sondern unsere politische Verantwortung (für Frauen) wahrnehmen.
Unsere Stimme mag nicht laut sein, erheben können wir sie dennoch, und ich möchte daher Birgits Vorschlag aufgreifen, dass ein solches Schreiben ja beide Aspekte berücksichtigen könnte – und zwar entsprechend dem Raum, den jeder Aspekt braucht. Das könnte dann zum Beispiel so aussehen:
„Wir gratulieren zu der Entscheidung, dass Frau Köstinger versucht, gemeinsam mit dem Kindesvater einen Weg zu gehen, bei dem sie Beruf und Familie vereinbaren kann. Wir hoffen, dass sie für beides genügend Zeit und Energie finden wird und dabei ihren Lebensunterhalt bestreiten kann.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir sie dazu auffordern, dass sie das auch allen anderen Frauen bzw. Eltern in Österreich ermöglicht. Dabei wollen wir daran erinnern, dass sie den oben erwähnten Weg keineswegs nur aus eigener Kraft beschreiten kann, sondern auch weil sie in einem Land wie Österreich lebt, in dem es (noch) einen Sozialstaat und das verfassungsmäßige Bekenntnis zur Gleichheit von Frau und Mann gibt. Frau Köstinger, Sie sind nicht nur Mutter, die eine lobenswerte, vielleicht sogar mutige Entscheidung getroffen hat, sondern auch Teil einer Regierung, die gerade das abbaut (Sozialstaat, Gleichstellung von Frauen und Männern), was auch anderen Frauen bzw. Eltern helfen würde, diesen Weg zu gehen.“
(siehe zB Einführung des 12-h-Tages sowie Abschaffung des Grundsatzerlasses zum Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ – juristisch vermutlich derweil nicht so tragisch, symbolpolitisch eine Katastrophe, oder auch 30 Millionen Euro Einsparungen für die Länder als Kindergartenbetreiber; sowie etliche andere Dinge, die ja schon von manchen von euch genannt wurden).
„Wir gratulieren Frau Köstinger und ihrem Partner zur Geburt eines gesunden Kindes und hoffen, dass es in einer friedlichen und demokratischen Welt aufwachsen wird, in der es ihm an möglichst wenig mangelt.
Wir fordern sie dazu auf, dass sie an einer ebensolchen Welt mitarbeitet. Einer Welt, in der alle Kinder in der Regel gesund zur Welt kommen und das Erwachsenenalter erreichen, nicht nur die in manchen Gegenden dieser Erde. Wir wollen sie dabei daran erinnern, dass sie derzeit Teil einer Regierung, einer EU ist, die Babys oder deren Eltern im Mittelmeer ertrinken lässt. Außerdem würden wir gerne wissen: Frau Köstinger, wo war Ihr Aufschrei als werdende Mutter, als Politikerin einer christlich-sozialen Partei, als Mensch, als die Bilder aus den USA in unsere Wohn-, Schlaf- und Spielzimmer gesendet wurden, auf denen Kinder von ihren Eltern getrennt in Gewahrsam genommen werden?“
Man könnte natürlich auch noch präsziser eingehen auf ihre Rolle und Taten als Landwirtschaftsministerin.
Zu klären bleibt außerdem die von einigen von euch schon gestellte Frage, was wir erreichen wollen.
Liebe Grüße,
Isabella